Aktuell

13. Juni 2022

Sicherheit statt Selbstverwirklichung in Ernährungsfragen

Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine beeinflussen die Meinungen zu Ernährung und Bewegung. Ein stärkeres Bewusstsein für grundlegende Bedürfnisse scheint die Selbstverwirklichung zu verdrängen. Staatliche Interventionen in Ernährungsfragen wie eine Steuer auf zuckerhaltige Lebensmittel bleiben Anliegen einer Minderheit. Bei den jüngsten befragten Stimmberechtigten ist ein fundamentales Desinteresse an Ernährungsfragen zu beobachten. Zu diesen Erkenntnissen gelangt der repräsentative Monitor Ernährung und Bewegung 2022 von gfs.bern.

 

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Sicher­heits- und Kosten­be­wusst­sein lösen Selb­stver­wirk­lichung ab

Bis zum Ende der 2010er-Jahre gin­gen Ernährung und Bewe­gung oft mit Selb­stver­wirk­lichung und Selb­st­darstel­lung ein­her. Eventuell war dies eine Wohl­stand­ser­schei­n­ung. Nun scheinen die sor­glosen Jahre in dieser Hin­sicht vor­bei zu sein. Der Fokus ver­schiebt sich zurück auf grundle­gende Bedürfnisse. Mit der Pan­demie und dem Krieg in der Ukraine rück­en Über­legun­gen zu Sicher­heit und Kosten in den Vorder­grund. Der Notvor­rat gewin­nt neue Bedeu­tung. 54 Prozent der Stimm­berechtigten in der Schweiz geben an, über einen solchen zu ver­fü­gen. Vornehm­lich ältere Gen­er­a­tio­nen bere­it­en sich damit auf den Ern­st­fall vor.

 

Je älter die Gen­er­a­tion, desto gröss­er das Sicherheitsbedürfnis

78 Prozent der Stimm­berechtigten wün­schen sich eine von Lebens­mit­te­limporten unab­hängige Schweiz. 70 Prozent sind bere­it, Mehrkosten für in der Schweiz hergestellte Pro­duk­te zu tra­gen. Was fehlt, ist ein gen­er­a­tionsüber­greifend­er Kon­sens. Je älter die Gen­er­a­tion, desto gröss­er das Sicher­heits­bedürf­nis, desto niedriger die Preis­sensi­tiv­ität und desto stärk­er das Bewusst­sein für den Zusam­men­hang zwis­chen Nach­haltigkeit und Ernährung. Ältere Gen­er­a­tio­nen haben auch eine klare Vorstel­lung davon, wie sie den zunehmenden Unsicher­heit­en begeg­nen wollen. Der Gen­er­a­tion Z (Jahrgänge 1995 – 2009) fehlt hier eine klare Strate­gie. Den Notvor­rat find­et man unnötig, für lokal pro­duzierte Güter möchte man nicht mehr bezahlen. Gle­ichzeit­ig wün­scht man sich aber Unab­hängigkeit vom Ausland.

 

Die Gen­er­a­tion Z hat ein geringes Bewusst­sein für Ernährungsfragen

Mehr als drei Vier­tel der Stimm­berechtigten inter­essieren sich für Ernährung und Bewe­gung. Während sich 77 Prozent der Frauen gut über das The­ma Ernährung informiert fühlen, sind es bei den Män­nern 61 Prozent. Inter­esse und Informiertheit in Sachen Ernährung und Bewe­gung nehmen jedoch ab. Der Trend geht ein­deutig in Rich­tung weniger bre­it ver­ankert­er Ernährungskom­pe­ten­zen. Beispiel­sweise nimmt der Anteil jen­er, die mehrmals täglich Gemüse, Salat oder Früchte essen, deut­lich ab. 2022 gaben 32 Prozent der Befragten an, drei oder mehr Por­tio­nen Gemüse, Salat oder Früchte pro Tag zu essen. 2014 waren es noch 60 Prozent. Angetrieben wird dieser Trend von einem fun­da­men­tal­en Desin­ter­esse der jüng­sten Gen­er­a­tion. Dieselbe Gen­er­a­tion empfind­et auch Präven­tion, Aufk­lärung und Ernährungskunde als weniger wichtig. Vor diesem Hin­ter­grund braucht die Aufk­lärung bei Jun­gen neuen Schwung.

 

Bei der Ernährung ist Eigen­ver­ant­wor­tung gefragt

Die Bevölkerung wün­scht sich nach wie vor eine Gesellschaft, in der die Bürg­erin­nen und Bürg­er das let­zte Wort haben. Eigen­ver­ant­wor­tung ste­ht vor staatlichen Inter­ven­tio­nen, Infor­ma­tion und Aufk­lärung vor Steuern und Geset­zen. Im Grund­satz ist dieses Wer­te­bild im Laufe der Befra­gungs­jahre kon­stant geblieben.

Aus Sicht der Stimm­berechtigten leis­ten Kon­sumentin­nen und Kon­sumenten sowie ihr Umfeld den grössten Beitrag für aus­ge­wo­gene Ernährung und aus­re­ichend Bewe­gung. Der von Lebens­mit­tel­her­stellern und der Getränke­branche geleis­tete Beitrag wird als deut­lich gröss­er wahrgenom­men als in der Ver­gan­gen­heit. Die Schulen erre­ichen in der Bew­er­tung einen neuen Tief­punkt. Es fällt auf, dass die jüng­sten Befragten, deren Schulzeit am wenig­sten lange zurück­liegt, von allen Gen­er­a­tio­nen den Beitrag der Schulen am kri­tis­chsten beurteilen.

 

Nur vier Prozent der Stimm­berechtigten fahren regelmäs­sig ins Aus­land zum Einkaufen

Obwohl eine starke Präferenz für Unab­hängigkeit und Ver­sorgungssicher­heit beste­ht, wird jährlich für rund 10 Mil­liar­den Franken im Aus­land eingekauft. Das ist mehr Geld, als die Eidgenossen­schaft für die Lan­desvertei­di­gung oder die Land­wirtschaft aus­gibt. Solche Ver­gle­iche ver­mö­gen anscheinend nicht zu beein­druck­en. Offen­bar fehlt dazu ein direk­ter Bezug oder die Dringlichkeit.

Ökonomisch betra­chtet, bleibt der Einkauf­s­touris­mus ein bedeu­ten­des Phänomen. Allerd­ings fahren nur vier Prozent der Stimm­berechtigten regelmäs­sig zum Einkaufen ins Aus­land. Wer ein tiefes Einkom­men hat und nahe der Gren­ze wohnt, tut dies aus nachvol­lziehbaren Grün­den eher. Rund ein Drit­tel der Stimm­berechtigten befür­wortet stren­gere Regeln für die Ein­fuhr von Waren. Etwa zwei Drit­tel find­en, die Regeln sollen bleiben wie sie sind oder gelock­ert werden.

 

In Krisen­jahren wer­den staatliche Inter­ven­tio­nen zur Normalität

Die Ein­führung ein­er Zuck­er­s­teuer, die den Kon­sum bee­in­flussen soll, befür­wortet weit­er­hin nur eine Min­der­heit (25 Prozent). Die Mehrheitsver­hält­nisse in dieser Frage sind seit Jahren kon­stant. Mit nur 17 Prozent ist die Zus­tim­mung in der Deutschschweiz beson­ders tief. In der Romandie und im Tessin ist die Zus­tim­mung mit 47 respek­tive 45 Prozent gröss­er. Ins­ge­samt find­en 78 Prozent der Stimm­berechtigten eine Zuck­er­s­teuer ungerecht, weil sie Ärmere stärk­er belastet. Gut drei Vier­tel sind der Ansicht, dass sich Ernährungs­ge­wohn­heit­en nicht mit Steuern ändern lassen. Der Aus­sage, dass es genug zuck­er­freie oder zuck­erre­duzierte Alter­na­tiv­en gibt, stim­men 81 Prozent zu.

Ein­griffe wie eine Preis­er­höhung für zucker‑, fett- und salzhaltige Lebens­mit­tel (27 Prozent) oder das generelle Ver­bot ver­meintlich unge­sun­der Lebens­mit­tel (28 Prozent) sind eben­falls nicht mehrheits­fähig. In den let­zten Jahren lässt sich jedoch eine Ver­schiebung hin zu ein­er grösseren Akzep­tanz staatlich­er Mass­nah­men beobacht­en. Mit den Mass­nah­men im Rah­men der Pan­demie hat sich dies­bezüglich eine gewisse Nor­mal­ität eingeschlichen. Auf­grund der beste­hen­den Krisen dürfte sich diese Ver­schiebung fortsetzen.

 

Mehr Infor­ma­tio­nen

Der Mon­i­tor Ernährung und Bewe­gung wurde im März 2022 von gfs.bern zum 9. Mal für die Infor­ma­tion­s­gruppe Erfrischungs­getränke durchge­führt. Die Dat­en wur­den in ein­er repräsen­ta­tiv­en Umfrage mit rund 1’000 stimm­berechtigten Schweiz­erin­nen und Schweiz­ern erhoben.