3. Mai 2018
Herr Hess, Sie sind heute erfolgreicher PR-Berater und Unternehmer. War das bereits als Kind ein Traum von Ihnen?
Nein, gar nicht. Als Kind wollte ich immer Bauer werden und habe auch meine ganze Freizeit auf einem Bauernhof in der Nähe meines Elternhauses verbracht. Auch heute könnte ich mir nichts Schöneres vorstellen als einen Beruf, bei dem man die meiste Zeit an der frischen Luft und nicht in Büros und Sitzungszimmern verbringt.
Was führte Sie von besagten Sitzungszimmern unter die Bundeshauskuppel?
In die Politik kam ich als Zufalls- und Späteinsteiger. Mit knapp 40 Jahren hatte ich das Bedürfnis, mich in unserer Gemeinde zu engagieren und habe für den Gemeinderat kandidiert. Dann ging alles relativ schnell…
Heute haben Sie selbst drei erwachsene Kinder. Wie sind Sie bei der Erziehung mit dem Thema Erfrischungsgetränke umgegangen?
Wir haben unseren Kindern einen unverkrampften Zugang zu Erfrischungsgetränken ermöglicht. Das heisst, dass wir keine Lebensmittel zu etwas Speziellem hochstilisiert haben, das unsere Kinder beispielsweise nur im Restaurant auswählen dürfen. So nimmt man vielen Produkten den gewissen Reiz. Sagen wir als Eltern zu einem Produkt «Achtung, Hände weg», machen wir es damit gleich doppelt interessant. Dass man bezüglich der Menge ein Auge darauf haben muss, ist aber wichtig und richtig.
In die Politik kam Lorenz Hess als Zufalls- und Späteinsteiger.
Sie sind Präsident der IG Erfrischungsgetränke. Was hebt diese Informationsgruppe von anderen Arbeitsgruppen rund ums Parlament ab?
Das Spezielle an dieser Gruppe ist, dass sie tatsächlich nicht mehr macht, als der Name sagt: Sie informiert. Es ist spannend zu sehen, wie unsere Informationsgruppe durch die Medien mittlerweile zur bekanntesten und mächtigsten Gruppe rund um den parlamentarischen Betrieb hochgeschaukelt wurde. Dabei gibt es rund um den politischen Betrieb von der parlamentarischen Gruppe Tibet bis hin zur Gruppe Elektromobilität zu so ziemlich jedem Thema eine Arbeitsgruppe. Dass wir in der Informationsgruppe den Kontakt zur Branche pflegen, ist klar und auch legitim. Zugleich hat die Gruppe jedoch noch nie eine Abstimmungsempfehlung an die Parlamentarier verschickt, wie es jeder Verband und jede NGO zu ihren Themen zu machen pflegt. Wobei ich auch hier sagen muss: Dies ist total legitim und zu Beginn einer Session für die Entscheidungsfindung sehr wichtig.
War dies bei der Gründung der IGEG ein bewusster Entscheid — mehr Informationen und weniger Lobbying?
Ja, für mich war es sogar ein Hauptbeweggrund, bei dieser Gruppe mitzuwirken. Man hat von Anfang an den Zweck genau definiert. Die Gruppe will in einem Bereich informieren, in welchem mich immer wieder das Gefühl beschleicht, dass sehr einseitig informiert wird. Man darf mir hier schon Voreingenommenheit vorwerfen. Schauen Sie sich aber mal den Zuckerkonsum in der Schweiz und den Anteil von Erfrischungsgetränken an diesem Konsum an: Da tut sich zwischen der Bedeutung, welche den Erfrischungsgetränken beim Zuckerkonsum zugeschrieben wird und dem effektiven Konsum ein riesiger Spalt auf.
Sie sind auch im Beirat von GastroSuisse. Kann man sagen, dass Genuss für Sie ein zentrales Thema ist?
Jeder Parlamentarier hat seine Kernthemen. Der eine ist der totale Sicherheitspolitiker, der andere beschäftigt sich mit der Energiepolitik. Ich persönlich habe längere Zeit in der Amtsleitung des Bundesamts für Gesundheit gearbeitet. In diesem Kontext habe ich Wissen im Bereich Lebensmittel aufgebaut. Wir haben beispielsweise Informationskampagnen zum Rinderwahnsinn durchgeführt. Zugleich hatte ich beruflich mit dem Schweizerischen Bäcker-Confiseurmeister-Verband zu tun. Das sind alles Themen, die mich heute noch interessieren und beschäftigen. Mein Mandat als Beirat bei GastroSuisse hat auch mit Genuss zu tun — wobei es mir als liberal denkender Mensch bei Ernährung darum geht, dass Genuss und Eigenverantwortung unser Handeln leiten sollen.
Welche Rolle soll der Staat bei diesen Themen spielen?
Der Kunde hat ein Recht darauf zu wissen, woher seine Lebensmittel kommen und welche Inhaltsstoffe sie haben. Dafür gibt es eine Deklarationspflicht. Auch bei einem Erfrischungsgetränk muss klar deklariert werden, wie viel Zucker im Getränk steckt und was die empfohlenen Tagesmengen für einzelne Inhaltsstoffe sind. Mir geht es darum, dass es nicht gut ist, wenn etwas überbordet. Heute geistert unverständlicherweise in den Köpfen vieler Menschen herum, dass bei der Einführung eines Ampelsystems für Lebensmittel ein gesundes Produkt automatisch einen grünen Punkt und die «bösen» Produkte einen roten Punkt erhalten. Dies führt zu unsinnigen Resultaten: Während ein Vollkornbrot einen grünen Punkt erhält, wird der Nussgipfel zu einem gefährlichen Hochrisikoprodukt degradiert. Diesen Unsinn müssen wir verhindern. Die Information und die Aufklärung über die Produkte muss gut sein. Die Entscheidung über den Konsum muss aber dem Bürger überlassen werden.
Schweizerinnen und Schweizer sind im europäischen Vergleich schlank. Trotzdem gibt es eine zu hohe Zahl an schwer übergewichtigen Menschen. Wie kann diesen geholfen werden?
Es gibt im Parlament immer wieder Bestrebungen, Prävention als unnötig abzutun oder gar zu verteufeln. Ich wehre mich dagegen. Modernes und attraktives Informationsmaterial zu Ernährung und Bewegung ist eine gewinnbringende Sache. Es muss beispielsweise den Jungen einfach dort zur Verfügung gestellt werden, wo sie wirklich anzutreffen sind. Es gibt aber gerade auch bei Eltern ein mangelndes Bewusstsein zu Ernährung und Bewegung ihrer Kinder. Wenn ich Kinder sehe, die von ihren Eltern für die Z’Nüni-Pause eine Packung Chips mit auf den Weg bekommen, haben wir ein Problem. Da muss man sich fragen, ob das Fach Ernährungskunde nicht in der Schule Abhilfe schaffen könnte — das müssen ja dann nicht gleich 100 Lektionen sein. Dann können auch die Eltern von ihren Kindern etwas lernen.
In der Frühlingssession wurde die Standesinitiative des Kantons Neuenburg zur Einführung einer Zuckersteuer vom Ständerat wuchtig abgelehnt. Was ist Ihre Meinung zu diesem Thema?
Ich habe gestaunt, wie laut das mediale Echo auf diese Initiative war. Kann man mit einer linearen Besteuerung, die einkommensschwächere Menschen stärker belastet, das Verhalten von Menschen steuern? Ich glaube nicht daran und halte es für kein praxistaugliches Mittel. Höhere Preise nützen wenig. Sie führen höchstens dazu, dass die Konsumenten «ennet» der Grenze einkaufen gehen.
Wieso bekommt die Zuckersteuer Ihres Erachtens denn eine solche Aufmerksamkeit?
Ein komplexes gesellschaftliches Problem zu lösen, indem man auf grosse Konzerne losgeht: Das halten viele für eine sehr attraktive Lösung. Man denkt sich: Das tut doch niemandem weh und zeigt lapidar, wie viel Steuern man gerne auf eine 1.5‑Liter-Flasche Cola schlagen möchte. Und dann, so der Tenor, hätte man etwas Gutes erreicht. Dabei geht vergessen: Eine solche Steuer betrifft uns alle, nämlich sämtliche grossen und kleinen Hersteller und alle Konsumenten. Sie hilft aber nicht, das Problem Übergewicht anzugehen. Und zugleich ist sie nicht praxistauglich: Sie finden Zucker in einer Vielzahl von Produkten — so auch in welchen, die uns als Schweizerinnen und Schweizern als Teil unserer Identität besonders lieb sind. Zugleich muss der Hinweis gelten, dass die Erfrischungsgetränkehersteller seit langer Zeit auch kalorienreduzierte und kalorienfreie Alternativen eines jeden Getränkes anbieten.
Im Jahr 2017 gewann der FC Nationalrat mit 8:0 gegen den FC Erfrischungsgetränke.
Parlamentarier befassen sich in ihren Arbeitsgruppen bekanntlich nicht nur mit Steuern — der FC Nationalrat bringt auch eine sportliche Komponente unter die Bundeshauskuppel. Am 6. Juni 2017 gewann er gleich mit 8:0 gegen den FC Erfrischungsgetränke. Ist eine Revanche geplant?
Leider kann ich selbst momentan beim FC Nationalrat nicht mittun. Das letzte Spiel gegen den FC Erfrischungsgetränke ist wesentlich knapper ausgefallen. Es wird sicherlich zu einer Neuauflage kommen.
Lorenz Hess
Seit 2011 ist Lorenz Hess Nationalrat der BDP. Der diplomierte PR-Berater ist Vater von drei erwachsenen Kindern und Präsident der Informationsgruppe Erfrischungsgetränke. Vor seinem Engagement in der Privatwirtschaft und Politik war der passionierte Jäger bis 2002 Leiter Kommunikation des Bundesamtes für Gesundheit.